
Costa Ricas Architektur ist kein Ausdruck imperialer Macht, sondern ein in Stein gehauenes Manifest seiner zivilen, friedensorientierten Identität.
- Statt königlicher Paläste prägten pragmatische Bauten der Kaffeebourgeoisie das Stadtbild, die Handel über Herrschaft stellten.
- Die Umwandlung der zentralen Militärkaserne in das Nationalmuseum 1948 ist der physische Beweis für die Priorisierung von Bildung gegenüber dem Militär.
Empfehlung: Betrachten Sie bei einer Reise die Gebäude nicht als Kulisse, sondern lesen Sie sie als Chronik einer bewussten gesellschaftlichen Entscheidung für den Frieden.
Wer durch Zentralamerika reist und die monumentalen Kolonialbauten in Antigua, Guatemala, oder die aztekischen Prachtrelikte in Mexiko-Stadt bestaunt, mag bei der Ankunft in San José, Costa Rica, eine gewisse Ernüchterung verspüren. Wo sind die opulenten Kathedralen, die weitläufigen Paläste, die steinernen Zeugen einer großen imperialen Vergangenheit? Diese scheinbare architektonische Bescheidenheit wird oft als Mangel an Geschichte missverstanden. Man spricht über die überbordende Natur, die fortschrittliche Umweltpolitik und die berühmte Abschaffung der Armee, doch die gebaute Umgebung wird meist nur oberflächlich als eine Ansammlung unscheinbarer Strukturen abgetan.
Doch was, wenn dieser vermeintliche Mangel an Prunk kein Defizit, sondern die Kernaussage ist? Was, wenn die wahre Geschichte Costa Ricas nicht in dem, was gebaut wurde, sondern vielmehr in dem, was bewusst nicht gebaut wurde, zu finden ist? Der Schlüssel zum Verständnis der costaricanischen Identität liegt in der Fähigkeit zur „Bauwerkslesung“: dem Entschlüsseln der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entscheidungen, die sich in jedem Ziegel, jedem Fenster und jeder Fassade manifestieren. Diese Gebäude sind keine passiven Hüllen, sondern aktive Erzähler einer einzigartigen nationalen Biografie, die sich von der militärischen Konfrontation ab- und der zivilen Gesellschaft zugewandt hat. Dieser Artikel führt Sie durch die symbolträchtigsten Bauten des Landes und lehrt Sie, die Sprache dieser außergewöhnlichen Architektur zu verstehen – einer Architektur, die Frieden und Bildung über Prunk und Macht stellt.
Dieser Leitfaden entschlüsselt die symbolische Bedeutung hinter den Fassaden und zeigt, wie Costa Ricas Gebäude die einzigartige Geschichte des Landes von einer Militärdiktatur hin zu einer stabilen Demokratie erzählen. Entdecken Sie die Schlüsselmomente und Orte, die die moderne Identität der Nation geprägt haben.
Inhaltsverzeichnis: Architektur als Spiegel einer einzigartigen nationalen Identität
- Warum hat Costa Rica fast keine Prunkbauten wie Mexiko oder Guatemala?
- Welche 5 Gebäude erzählen Costa Ricas Geschichte von Militärdiktatur zu Demokratie?
- Wie unterscheiden Sie in 6 Details koloniale von postkolonialer Architektur in San José?
- Der drohende Verlust: Welche 3 Nationaldenkmäler akut von Abriss bedroht sind
- Welche Nationaldenkmäler an welchen Tagen innen besichtigt werden können?
- Warum die Armeeabschaffung 1948 Costa Ricas Gesellschaft friedlicher machte als Nachbarländer?
- Wie Sie in 6 Schritten die authentischen Viertel San Josés abseits der Reiseführer finden?
- Kultureller Reichtum Costa Ricas: Wie Geschichte die moderne Identität prägt
Warum hat Costa Rica fast keine Prunkbauten wie Mexiko oder Guatemala?
Die Antwort liegt nicht in einem Mangel an Wohlstand, sondern in dessen Quelle. Während die spanischen Vizekönigreiche in Mexiko und Guatemala ihren Reichtum aus Silberminen und der Ausbeutung indigener Arbeitskräfte zogen, um imperiale Macht durch monumentale Kirchen und Regierungspaläste zu demonstrieren, war Costa Rica eine arme und vernachlässigte Kolonialprovinz. Der wahre Reichtum kam erst viel später und aus einer anderen Quelle: dem Kaffee. Diese neue Kaffeebourgeoisie des 19. Jahrhunderts hatte ein anderes Ziel. Sie wollte nicht die Krone oder die Kirche beeindrucken, sondern am Welthandel teilnehmen. Ihr architektonischer Ausdruck war daher kein imperialer Prunk, sondern ein ziviler Pragmatismus.
Das beste Beispiel hierfür ist das Teatro Nacional in San José, das 1897 eröffnet wurde. Es wurde nicht von einem Vizekönig oder Bischof in Auftrag gegeben, sondern durch eine selbst auferlegte Exportsteuer auf Kaffee finanziert. Jeder Kaffeebauer des Landes trug zum Bau bei. Das Gebäude ist zweifellos opulent, mit Marmor aus Italien und belgischem Eisen, aber es ist kein Symbol göttlicher oder königlicher Macht. Es ist ein Denkmal des Handels, des bürgerlichen Stolzes und der wirtschaftlichen Potenz einer neuen Elite, die ihren Status durch ökonomischen Erfolg und nicht durch militärische Eroberung definierte. Diese Fokussierung auf wirtschaftliche und zivile Bauten anstelle von militärischen oder rein repräsentativen Strukturen ist der Gründungsmythos der costaricanischen Architekturidentität.
Diese historische Weichenstellung erklärt, warum das Stadtbild von San José eher an eine europäische Handelsstadt des späten 19. Jahrhunderts erinnert als an eine lateinamerikanische Kolonialmetropole. Die Architektur erzählt eine Geschichte von Handel, Bildung und einer aufstrebenden Zivilgesellschaft, nicht von Eroberung und Unterwerfung.
Welche 5 Gebäude erzählen Costa Ricas Geschichte von Militärdiktatur zu Demokratie?
Kein Gebäude erzählt diese Geschichte eindrücklicher als das heutige Museo Nacional de Costa Rica. Was heute ein Ort der Kultur und Wissenschaft ist, war einst das Zentrum der militärischen Macht des Landes: die Bellavista-Kaserne. Der entscheidende Moment der nationalen Identitätsstiftung fand hier statt. Wie die Botschaft Costa Ricas dokumentiert, erfolgte am 1. Dezember 1948 mit einem symbolischen Schlag auf den Cuartel Bellavista die offizielle Abschaffung der Armee durch den damaligen Präsidenten José Figueres Ferrer. Dieser Akt der architektonischen Demilitarisierung – die Umwandlung der Hauptkaserne in das Nationalmuseum – ist die kraftvollste Metapher für den Weg des Landes.
Die Spuren der Vergangenheit sind bewusst erhalten geblieben und dienen als Mahnmal. Die dicken Festungsmauern, die einst Macht demonstrieren sollten, erzählen heute eine andere Geschichte. Wie der Blog Puraventura hervorhebt, ist die historische Bedeutung zum Greifen nah:
In ihren Außenwänden können Sie sogar noch Einschusslöcher sehen
– Blog Puraventura, Sehenswürdigkeiten in San José
Diese Einschusslöcher aus dem kurzen, aber heftigen Bürgerkrieg von 1948 wurden nicht verputzt. Sie sind gebaute Erinnerung und ein ständiger Verweis darauf, dass Frieden eine bewusste Entscheidung nach einem Konflikt war.

Neben dem Nationalmuseum sind vier weitere Gebäude Schlüsselzeugen dieses Wandels: das Teatro Nacional (Symbol des zivilen Reichtums), das Edificio Correos (das alte Postgebäude als Knotenpunkt ziviler Kommunikation), der Oberste Gerichtshof (Symbol der Rechtsstaatlichkeit) und die Universität von Costa Rica (Zentrum der Bildung, die anstelle des Militärs gefördert wurde). Zusammen bilden sie ein architektonisches Ensemble, das die Werte der modernen costaricanischen Republik repräsentiert.
Jeder Besuch dieser Orte ist somit nicht nur eine touristische Besichtigung, sondern eine Lektion in der Verfassungsgeschichte des Landes, in Stein gemeißelt.
Wie unterscheiden Sie in 6 Details koloniale von postkolonialer Architektur in San José?
Für das geschulte Auge offenbart ein Spaziergang durch San José einen klaren Bruch zwischen der spanischen Kolonialzeit und der darauffolgenden, vom Kaffeehandel geprägten Epoche. Die Fähigkeit zur „Bauwerkslesung“ ermöglicht es, diese Unterschiede zu erkennen und die Gebäude als historische Dokumente zu interpretieren. Die postkoloniale Architektur ist keine bloße Weiterentwicklung, sondern eine bewusste Abkehr, die von neuen Materialien, neuen Einflüssen und einem neuen Selbstverständnis als Handelsnation zeugt. Der entscheidende Unterschied liegt im Übergang von einer defensiven, nach innen gekehrten Bauweise zu einer offenen, repräsentativen Architektur, die Wohlstand und Weltläufigkeit zur Schau stellt.
Die folgende Tabelle fasst die sechs wesentlichen Merkmale zusammen, an denen Sie die beiden Epochen unterscheiden können. Sie dient als praktischer Leitfaden für Ihre Erkundungen in den historischen Vierteln von San José. Diese Gegenüberstellung, basierend auf einer vergleichenden Analyse der Bauperioden, macht die Transformation der Stadt sichtbar.
| Merkmal | Kolonialzeit (bis 1821) | Postkolonial (ab 1850) |
|---|---|---|
| Material | Adobe, Lehm, lokales Holz | Importiertes Metall aus Belgien, englische Ziegel |
| Fenster | Klein, defensiv, schmiedeeiserne Gitter | Groß, offen, Guillotine-Fenster |
| Dach | Spanische rote Tonziegel | Wellblech, später moderne Materialien |
| Stockwerke | Einstöckig | Mehrstöckig als urbanes Statussymbol |
| Fassadendekor | Schlichter Barock, weiß gekalkt | Eklektischer Jugendstil, viktorianische Elemente |
| Gebäudefunktion | Kirche, Verwaltung | Theater, Banken, Kaffeehändler-Villen |
Ein perfektes Fallbeispiel für diesen Wandel ist das Barrio Amón. In diesem 1892 gegründeten Viertel stehen viktorianische Villen der Kaffeebarone mit ihren charakteristischen, umlaufenden Veranden und großen Fenstern direkt neben Bauten wie dem neomudéjaren Castillo del Moro (1930). Diese importierte Modernität, kombiniert mit tropischen Anpassungen wie guter Belüftung und Innenhöfen, unterscheidet sich fundamental von der geschlossenen, fast festungsartigen Bauweise der wenigen verbliebenen Adobe-Häuser aus der Kolonialzeit.
Mit diesem Wissen wird jeder Spaziergang durch San José zu einer Zeitreise, bei der Sie die wirtschaftliche und soziale Revolution des Landes direkt von den Fassaden ablesen können.
Der drohende Verlust: Welche 3 Nationaldenkmäler akut von Abriss bedroht sind
Trotz des reichen architektonischen Erbes, das die einzigartige Geschichte Costa Ricas erzählt, ist dessen Erhaltung keine Selbstverständlichkeit. Ironischerweise ist es gerade der wirtschaftliche Erfolg, der heute zur größten Bedrohung für diese historischen Zeugnisse wird. Der immense Immobiliendruck in den historischen Vierteln von San José, insbesondere in Gegenden wie Barrio Amón und Barrio Escalante, führt zu einem ständigen Konflikt zwischen moderner Stadtentwicklung und dem Schutz des Kulturerbes. Viele historische Gebäude, die nicht den höchsten Schutzstatus genießen, sind akut von Abriss oder unsensiblen Umbauten bedroht, um Platz für Parkplätze, Apartmentkomplexe oder moderne Bürogebäude zu machen.
Die Situation wird durch die relativ geringe internationale Anerkennung verschärft. Während das Land für seine Natur bekannt ist, gibt es in Costa Rica nur eine einzige UNESCO-Kulturerbestätte. Dies legt die Hauptlast des Schutzes auf nationale Institutionen, die oft mit begrenzten Mitteln gegen finanzstarke Investoren kämpfen. Es ist daher schwierig, drei einzelne, akut bedrohte Nationaldenkmäler zu benennen, da die Bedrohung oft diffuser ist und ganze Ensembles betrifft. Der eigentliche Verlust ist der schleichende Zerfall des Charakters ganzer Stadtviertel.
Ein konkretes Beispiel ist der andauernde Kampf um den Erhalt von Kaffeebaron-Villen, die keinen formalen Schutzstatus haben. Während prominente Gebäude wie das Castillo del Moro im Jahr 2000 unter nationalen Schutz gestellt wurden, fallen viele andere, ebenso wichtige Bauten durch das Raster. Die Balance zwischen Erhaltung und Fortschritt bleibt die größte Herausforderung. Die drei am stärksten bedrohten „Denkmäler“ sind daher nicht unbedingt Einzelbauten, sondern Typologien: 1. die unscheinbaren Adobe-Häuser aus der späten Kolonialzeit, 2. die viktorianischen Holzhäuser der Kaffee-Ära, die hohe Instandhaltungskosten verursachen, und 3. die Art-déco-Kinos und -Geschäftshäuser aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, die als nicht „alt genug“ für den Denkmalschutz gelten.
Jedes abgerissene Gebäude ist somit nicht nur ein Verlust von Bausubstanz, sondern das Auslöschen einer Zeile aus dem steinernen Geschichtsbuch der Nation.
Welche Nationaldenkmäler an welchen Tagen innen besichtigt werden können?
Die faszinierende Geschichte Costa Ricas lässt sich am besten erleben, indem man die symbolträchtigen Gebäude nicht nur von außen bewundert, sondern auch ihre Innenräume betritt. Viele der wichtigsten Nationaldenkmäler in San José sind heute als Museen oder Theater öffentlich zugänglich und bieten einen tiefen Einblick in die verschiedenen Epochen des Landes. Eine Besichtigung ermöglicht es, die architektonischen Details, die verwendeten Materialien und die Atmosphäre, die diese Orte ausstrahlen, hautnah zu erfahren. Vom prunkvollen Neoklassizismus des Kaffeereichtums bis zu den bescheideneren, aber nicht minder bedeutungsvollen Räumen der politischen Institutionen – hier wird die Identität des Landes greifbar.
Der Besuch dieser Stätten erfordert eine gewisse Planung, da die Öffnungszeiten variieren. Die folgende Liste dient als praktischer Leitfaden für Ihre Erkundungstour durch das historische Herz von San José und stellt sicher, dass Sie vor keinen verschlossenen Türen stehen.
- Teatro Nacional: Täglich von 9:00 bis 16:00 Uhr geöffnet. Führungen sind verfügbar (ca. 10 Euro) und besonders empfehlenswert, um die Details der Deckengemälde und die Symbolik zu verstehen. Ein Besuch am Vormittag ist meist ruhiger.
- Museo Nacional (ehem. Cuartel Bellavista): Geöffnet von Dienstag bis Samstag von 8:30 bis 16:30 Uhr und sonntags von 9:00 bis 16:30 Uhr. Der Eintritt schließt den Zugang zum berühmten Schmetterlingsgarten im Innenhof ein.
- Museo del Oro Precolombino: Geöffnet von Dienstag bis Sonntag von 9:15 bis 17:00 Uhr. Das Museum befindet sich unterirdisch unter der Plaza de la Cultura und beherbergt eine atemberaubende Sammlung präkolumbianischer Goldartefakte.
- Edificio Correos (Altes Postgebäude): Das Gebäude ist an Werktagen zu den normalen Geschäftszeiten zugänglich. Ein einfacher Trick, um die beeindruckende Schalterhalle zu erleben, ist der Kauf einer Postkarte.
- Museo del Jade: Geöffnet von Dienstag bis Sonntag von 10:00 bis 17:00 Uhr. Es beherbergt die weltweit größte Sammlung präkolumbianischer Jade mit über 7.000 Stücken.

Jeder dieser Orte bietet ein einzigartiges Puzzleteil zum Verständnis des kulturellen Reichtums und der komplexen Geschichte Costa Ricas.
Warum die Armeeabschaffung 1948 Costa Ricas Gesellschaft friedlicher machte als Nachbarländer?
Die Abschaffung der Armee im Jahr 1948 war mehr als nur ein symbolischer Akt; es war eine fundamentale ökonomische und soziale Weichenstellung. Während die Nachbarländer in den folgenden Jahrzehnten enorme Summen ihrer Staatshaushalte in Militär, Rüstung und Bürgerkriege investierten, konnte Costa Rica diese Mittel systematisch in zwei andere Bereiche lenken: Bildung und Gesundheit. Diese als „Friedensdividende“ bekannte Umschichtung schuf die Grundlage für eine stabile, gebildete und gesunde Zivilgesellschaft, die sich als widerstandsfähiger gegenüber den politischen Unruhen der Region erwies.
Die Ergebnisse dieser Politik sind statistisch messbar und beeindruckend. Nach Angaben der costaricanischen Botschaft erreicht das Land heute eine Alphabetisierungsrate von 98% und eine Lebenserwartung von 79 Jahren – Werte, die eher an europäische Industriestaaten als an ein zentralamerikanisches Land erinnern. Eine Studie der Universidad de Costa Rica, die von der WOZ zitiert wird, belegt sogar einen direkten wirtschaftlichen Nutzen: Die Armeeabschaffung trug laut der Analyse der wirtschaftlichen Auswirkungen zu einem signifikant höheren Pro-Kopf-Einkommenswachstum bei. Die Sozialausgaben des Staates explodierten förmlich und stiegen in den ersten 25 Jahren von 2,6% auf 13,4% des Bruttoinlandsprodukts.
Diese Investition in Humankapital statt in Waffen schuf einen positiven Kreislauf: Eine gebildetere Bevölkerung führte zu einer stabileren Demokratie, zog ausländische Investitionen an und förderte eine Kultur des Dialogs und des Kompromisses anstelle der gewaltsamen Konfliktlösung. Während in den Nachbarländern das Militär oft als eigenständiger Machtfaktor agierte und demokratische Prozesse untergrub, konnte sich in Costa Rica eine starke Zivilgesellschaft etablieren. Der Frieden war somit nicht nur ein moralisches Ziel, sondern auch die klügste wirtschaftliche Investition, die das Land je getätigt hat.
Letztendlich machte die Armeeabschaffung die Gesellschaft nicht nur friedlicher, sondern auch wohlhabender, gesünder und stabiler als die seiner Nachbarn.
Wie Sie in 6 Schritten die authentischen Viertel San Josés abseits der Reiseführer finden?
Um das wahre, authentische San José zu entdecken, müssen Sie die ausgetretenen Pfade der Reiseführer verlassen und lernen, die Stadt wie ein Einheimischer zu lesen. Die Spuren der echten Geschichte und des täglichen Lebens finden sich nicht an den großen Touristenplätzen, sondern in den Gassen der historischen Wohnviertel, den sogenannten „Barrios“. Hier offenbart sich die Seele der Stadt – in der Architektur der Kaffeebaron-Villen, dem geschäftigen Treiben auf den lokalen Märkten und den Gesprächen in den traditionellen Eckläden. Der Schlüssel liegt darin, nach den subtilen Zeichen der Geschichte und der gelebten Kultur Ausschau zu halten, anstatt nur die offensichtlichen Sehenswürdigkeiten abzuhaken.
Die folgende Anleitung ist ein praktischer Plan, um sich diese Viertel systematisch zu erschließen und vom Touristen zum Entdecker zu werden. Sie basiert auf der Methode der „Bauwerkslesung“ und der Beobachtung des sozialen Gefüges.
Ihr Plan zur Entdeckung des authentischen San José
- Architektonische Spurensuche: Identifizieren Sie die visuellen Ankerpunkte. Suchen Sie gezielt nach viktorianischen Häusern mit umlaufenden Veranden in Barrio Amón und den ersten Art-déco-Einflüssen in Barrio Escalante. Achten Sie auf Details wie importierte belgische Metallstrukturen an Balkonen und Fenstern.
- Soziale Zentren aufsuchen: Inventarisieren Sie die Orte des täglichen Lebens. Besuchen Sie bewusst traditionelle Eckläden („Pulperías“) und kommen Sie mit den Besitzern ins Gespräch. Erkunden Sie die wöchentlichen Bauernmärkte („Ferias del Agricultor“), um das Herz der Nachbarschaft zu spüren.
- Visuelle Indikatoren deuten: Vergleichen Sie die Atmosphäre. Nutzen Sie die Dichte und Qualität von Street Art und Murals als Indikator für kreative und lebendige Viertel. Stellen Sie den Kontrast zwischen der organischen Lebendigkeit dieser Orte und den sterilen Touristenzonen fest.
- Historische Schichten freilegen: Analysieren Sie die Zeitachsen. Achten Sie auf die unterschiedlichen Bauperioden (1890er für Kaffee-Villen, 1920er für Art déco), um die Entwicklung des Viertels chronologisch nachzuvollziehen und seine Geschichte zu verstehen.
- Eigene Route entwerfen: Erstellen Sie einen priorisierten Erkundungsplan. Kombinieren Sie die gesammelten Anhaltspunkte (Architektur, Märkte, Street Art) zu einer persönlichen Spazierroute durch Barrio Amón und Barrio Escalante, die Ihren Interessen folgt.
Diese Methode verwandelt einen einfachen Stadtspaziergang in eine aktive Forschungsmission. Sie werden nicht nur sehen, wo die Menschen leben, sondern auch verstehen, warum die Viertel so aussehen, wie sie es tun. Es ist eine Suche nach der Geschichte, die im Alltäglichen verborgen liegt. Die wahre Entdeckung ist das Verständnis für den organisch gewachsenen Charakter eines Ortes, geformt durch Kaffee, Handel und das tägliche Leben seiner Bewohner über Generationen hinweg.
So finden Sie nicht nur authentische Viertel, sondern auch eine tiefere Verbindung zur Stadt und ihrer einzigartigen Geschichte.
Das Wichtigste in Kürze
- Architektur als politisches Statement: Costa Ricas Nationalarchitektur ist geprägt von zivilem Pragmatismus (Teatro Nacional) statt imperialem Prunk, was den Fokus auf Handel und Bürgertum widerspiegelt.
- Sichtbarer Frieden: Die Umwandlung der Bellavista-Kaserne in das Nationalmuseum ist der ultimative architektonische Beweis für die Priorisierung von Bildung und Kultur über militärische Macht.
- Kaffee als Stadtplaner: Der Reichtum aus dem Kaffeeexport finanzierte eine neue, weltoffene Architektur (viktorianische Villen, importierte Materialien), die sich bewusst von der geschlossenen Bauweise der Kolonialzeit absetzte.
Kultureller Reichtum Costa Ricas: Wie Geschichte die moderne Identität prägt
Die Architektur Costa Ricas ist, wie wir gesehen haben, der Spiegel einer Reihe bewusster historischer Entscheidungen. Die Abkehr von imperialer Machtdemonstration, die Finanzierung von Kultur durch Handel und der entscheidende Schritt zur Abschaffung der Armee 1948 sind keine isolierten Ereignisse. Sie sind die Grundpfeiler, auf denen die gesamte moderne Identität des Landes ruht. Der kulturelle Reichtum Costa Ricas liegt nicht in Gold oder alten Pyramiden, sondern in der Stärke seiner Zivilgesellschaft, seinem hohen Bildungsniveau und einem tief verwurzelten Frieden, der sich in der Mentalität der Menschen und eben auch in der gebauten Umwelt manifestiert.
Diese kluge Politik zahlt sich bis heute aus. Wie die Organisation „Ohne Rüstung Leben“ analysiert, gibt Costa Rica nur etwa 0,6-0,8% seines Bruttonationaleinkommens für Polizei und Grenzschutz aus, während Nachbarländer oft 2-3% allein für das Militär aufwenden. Diese freigewordenen Mittel fließen kontinuierlich in die Gesellschaft zurück. Das Land hat sich, wie es eine Analyse auf Kontrast.at beschreibt, von der unbedeutendsten Provinz des spanischen Kolonialreichs zu einem der wohlhabendsten, friedlichsten und stabilsten Länder Lateinamerikas transformiert. Der Schlüssel war die konsequente Investition in Bildung, die zur höchsten Hochschulabsolventenquote in der Region führte.
Die Gebäude – vom Nationaltheater über das umgewidmete Nationalmuseum bis hin zu den Villen der Kaffeebarone – sind somit mehr als nur historische Artefakte. Sie sind eine permanente Erinnerung an die Werte, die das Land definieren. Sie erzählen die Erfolgsgeschichte einer Nation, die verstand, dass wahre Stärke nicht aus Gewehrläufen, sondern aus Klassenzimmern, Theatersälen und Gerichtshöfen erwächst. Das Verständnis dieser Identitäts-Architektur ist der Schlüssel zum Verständnis von Costa Rica selbst.
Beginnen Sie Ihre nächste Reise nach Costa Rica also nicht mit der Suche nach dem, was fehlt, sondern mit der Entschlüsselung dessen, was vorhanden ist. Lesen Sie die Gebäude, und Sie werden die außergewöhnliche Geschichte einer Nation verstehen, die sich für den Frieden entschieden hat.